Die Geschichte des Fliegerdenkmals

Ein spannender Bericht von Joachim Jenrich

Der größte Tag der Wasserkuppe

Seit 80 Jahren [inzwischen seit 100 Jahren, Anm. d. Red.] steht der Bronzeadler jetzt auf seinem basaltenen Sockel und schaut im Jahre 2003 ohne Augen mit starren Blick in die Weite der Rhönlandschaft. Das Denkmal wird, da es auf dem Berg der Segelflieger errichtet wurde, zwangsläufig mit dem Segelflug in Verbindung gebracht. Die Inschrift auf der Bronzetafel spricht nur allgemein von „toten Fliegern“ und lässt diesen Schluss zu. Erstellt aber wurde das Denkmal von Feldpiloten des Ersten Weltkriegs für ihre zwischen 1914 und 1918 gefallenen Fliegerkameraden.

Unvorstellbar ist es uns heute, wie damals eine derartige Menschenmenge aus allen Teilen Deutschlands zur Einweihung in die entlegene und damals verkehrstechnisch kaum zugängliche Rhön gekommen ist, ohne Radionachrichten und Fernsehwerbung.

Und nicht an einem Feiertag oder einem Wochenende: Der 30. August des Jahres 1923 war ein ganz gewöhnlicher Wochentag, ein Donnerstag.

Die Fuldaer Zeitung vom Vortage vermeldet dazu u.a.: „Auch Motorflieger sind auf dem Wege zur Wasserkuppe. Dienstag Abend gegen 19.30 Uhr landete im dichten Nebel ein Motorflugzeug des Deutschen Aero-Lloyd, das drei Stunden vorher unter Führung des Piloten Piper mit einem Passagier an Bord in Berlin-Staaken mit dem Ziel zur Wasserkuppe gestartet war, auf der Kuppe. Trotz des Nebels hat das Flugzeug sein Ziel erreicht. Es ist das erste Motorflugzeug, das auf der Wasserkuppe gelandet ist.

Ein weiteres Motorflugzeug, das von Breslau aus zur Wasserkuppe wollte, landete gestern Abend bei Ziehers….“ Und im Gersfelder Kreisblatt vom 27. August 1922 findet sich der Aufruf: „An die Einwohner Gersfelds! Anläßlich des am 30. August d.J. auf der Wasserkuppe stattfindenden Flieger-Gedenktages wird die hiesige Einwohnerschaft freundlichst gebeten, ab Mittwoch Nachmittag über Donnerstag hinaus, ihre Häuser zu beflaggen. Gersfeld, den 27. August 1923. Der Magistrat. Seifert.“

Die Bauherren

Bald nach Beendigung des Ersten Weltkriegs, schon im Februar 1919, waren verschiedene „kameradschaftliche Vereinigungen“ ehemaliger Frontfliegerverbände entstanden, die sich später im „Ring der Flieger e.V“ vereinigten. Der erste Vorsitzende war bis zu seinem Tode der ehemalige Kommandierende General der Luftstreitkräfte Ernst von Hoeppner. Sein Nachfolger wurde 1922 der frühere Inspekteur der Fliegertruppe, Generalleutnant a.D. Walter von Eberhardt. Schon bei der Gründungsversammlung ist der aktive Reichswehr-Oberleutnant Ottfried Fuchs zum Geschäftsführer der Vereinigung gewählt worden.

Für den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft sorgte das „Fliegerring-Nachrichtenblatt“, das sechsmal im Jahr in Berlin gedruckt wurde.

Jährliche Großveranstaltung war seit 1920 die Oswald-Boelke-Gedenkfeier am 28. Oktober, dem Todestag des berühmten Jagdfliegers (40 Luftsiege, gefallen 1916).

Der Ring der Flieger e.V., oder auch „Fliegerring“, beteiligte sich nach der Wiedererlaubnis der sportlichen Motorfliegerei im Mai 1922 (eine motorlose Fliegerei war von dem alliierten Verbot nicht erfasst gewesen) an der Organisation fliegerischer Veranstaltungen. Er entschied auch in den Jahren 1928 bis 1932, gemeinsam mit dem Deutschen Luftfahrt-Verband, über den Vorschlag an den Reichspräsidenten zur Verleihung des begehrten Hindenburgpokals, der höchsten Auszeichnung für einen deutschen Motorflieger. Unter dem Druck der Gleichschaltung übergab am 29. Oktober 1933 der damalige – letzte – Vorsitzende des Rings der Flieger, Fritz Siebel, die einzige Standarte der Fliegertruppe aus dem ersten Weltkrieg an den Präsidenten des inzwischen organisierten uniformen und uniformierten Deutschen Luftsportverband e.V., an den Pour-le-merite-Flieger Bruno Lörzer, zum Zeichen der „freiwilligen“ (!) Eingliederung. Damit endete die Geschichte des Ringes der Flieger. Ein Versuch von H.F. Knoesch, den Fliegerring nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu neuem Leben zu erwecken, scheiterte. Außer dem Fliegerdenkmal zeugt auch noch das „Ringhaus“ auf der Wasserkuppe im ehemaligen Kasernenbereich von seiner früheren Existenz.

Die Verbindung des Ringes der Flieger e.V. zur Rhön wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es fast durchwegs Erste-Weltkriegs-Piloten gewesen sind, die in den Wettbewerben der Anfangsjahre die beachtlichen Erfolgsleistungen erbrachten und die uns und der Welt den Segelflug erst als neue Sportart geschaffen haben: Walter Blume, Otto Fuchs, Hans Hackmack, F.H. Hentzen, Max Kegel, Wilhelm Leusch, Alexander Lippisch, Eugen von Loessl, Artur Martens, Erich Meyer, Johannes Moßner, Wolfgang Klemperer, Bruno Poelke, Ferdinand Schulz, Fritz Stamer und viele andere. Sie waren nicht alle Mitglieder des Fliegerrings gewesen, aber diesen flugbesessenen Männern war es eine durchaus ernsthafte Herzensangelegenheit gewesen, ein ehrendes Gedenken an ihre einstigen Vorbilder Immelmann, Boelke, von Richthofen und an die vielen anderen toten Kameraden zu bewahren. Jedes kleine Dorf hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon sein Kriegerdenkmal.

Das Fliegerdenkmal wurde vom Ring der Flieger in Auftrag gegeben. Dazu gehörten 1923 folgende Gruppierungen:

  • Nordbayrischer Luftfahrtverband
  • Deutscher Luftflottenverein
  • Verband deutscher Modell- und Segelflugvereine
  • Mitteldeutscher Flugverband
  • Aeroclub von Deutschland
  • Kyffhäuserbund der Deutschen Landes-Krieger-Verbände
  • Verband Deutscher Luftfahrzeug-Industrieller
  • Vereinigter Deutscher Flugverband
  • Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt
  • Deutscher Luftfahrer Verband
  • Bayrische Luftfahrtzentrale
  • Bayerischer Aeroclub
  • Automobil- und Flugtechnische Gesellschaft
  • Deutscher Flugsport-Verband
  • Bayerischer Fliegerklub
  • Deutscher Verkehrsbund Abt. Luftfahr-Personal
  • Wissenschaftliche Gesellschaft für Luftfahrt
  • Klage der Flieger e.V.
  • Versuchsanstalt für Luftfahrt
  • 36 Unterschriften von Generälen, Präsidenten, Vorsitzenden, Ministern

Zusammenarbeit

Für den Ring der Flieger war der aktive Offizier im Hunderttausend-Mann-Heer (diese Stärke war dem Nachkriegsdeutschland von den Alliierten zugestanden worden), Oberleutnant Ottfried Fuchs, als Geschäftsführer ein Glücksfall, er beschaffte die Geldmittel. Er begegnete dem Münchner Architekten Moßner, der wie er Weltkriegspilot war und ebenfalls als freiwilliger Helfer in der Wettbewerbsleitung während der Rhönwettbewerbe tätig war. Fuchs führte mit ihm die Verhandlungen wegen eines Bauauftrags auf der Wasserkuppe:

Der Ring der Flieger wollte auf der Wasserkuppe ein festes Gebäude errichten, das den Wettbewerbsteilnehmern, vor allem solchen aus dem eigenen Verband, als Unterkunft dienen konnte. Nach den Vorstellungen des Bauherren sollte Moßners Entwurf auf mindestens vierzig Doppelzimmern ausgelegt sein. Das langgestreckte Gebäude entstand nördlich der damaligen Messerschmitt-Baracke, an deren Stelle jetzt seit 1925 das Ursinus-Haus steht. Auch das Ringhaus, das 1924 in Gebrauch genommen wurde, steht heute noch modernisiert im Gebäudekomplex.

Die Idee

Der Gedanke zur Errichtung eines Denkmals für die gefallenen Weltkriegsflieger auf der Westhangstufe entstand wohl 1922 nach einer Gedenkfeier an den „Loessl-Steinen“, wie die Basaltsteinhalde am Lerchenhügel jetzt genannt wurde. Diese Stelle, von welcher während des ersten Rhönwettbewerbs Eugen von Loessl zu seinem letzten Flug gestartet war, hatte Oskar Ursinus damals als Ort für eine jährliche Gedenkstunde bestimmt. Am gleichen Tage, 24 Jahre vorher, war Otto Lilienthal in den Rhinower Bergen abgestürzt.

Oskar Ursinus: „Von jetzt ab werden wir den 9. August in Gedenken an Otto Lilienthal und Eugen von Loessl mit einer Feierstunde begehen, drüben am Westhang….Im August soll in Zukunft ein deutscher Fliegertag stattfinden…..in der Rhön muss sich jedes Jahr alles treffen, was an der Sache mitarbeiten will…“. Dieses Gelöbnis wurde Vermächtnis und Verpflichtung bis in die heutigen Tage. Hier bei den Loessl-Steinen, war auch Wilhelm Leusch, ebenfalls ein Weltkriegspilot, im August des Jahres 1921 gestartet. Er wurde der zweite Tote des Segelflugs. Seitdem findet am zweiten Sonntag im August noch immer alles „was an der Sache mitarbeiten will“ den Weg auf die Wasserkuppe zur Gedenkstunde am Fliegerdenkmal.

Das Kunstwerk

Im Bestandskatalog der Skulpturenabteilung der Hamburger Kunsthalle („Die Dritte Dimension“ von Georg Syamken, Hamburg 1988) wird die Adlerskulptur des August Gaul, von der es insgesamt drei Exemplare (Hamburger Kunsthalle, Nationalgalerie in Berlin, Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe) gibt, wie folgt beschrieben:

„Das Urbild aller nationalsozialistischen Adler mit allen Paraphernalia des Raubtiers, seiner wehrhaften Schönheit und seiner diskret unter seinem wohlig gespannten Gefieder verborgenen Energie. Angesichts des Klimas vor dem Ersten Weltkrieg ein nicht mehr unschuldiges Symbol monumental zur Schau gestellten Machtbewußtseins und dennoch ein Werk, das wegen seiner Originalität Respekt abnötigt. Es ist – allein von seinem Format her – mehr als eine bildhauerische Skizze tierischen Seins und Verhaltens, aber es hütet sich, jede anthropomorphe Parallele über das naturalistische Maß hinaus zu strapazieren. Die Sinnbelastung ergibt sich aus der Heraldik: Die Nähe zum Wappentier des Deutschen Reiches ist in dieser Größe nicht mehr zu übersehen; das wartende Spähen zu sehr auf die geopolitische Einsamkeit des Reiches zu beziehen, die irrtümlicherweise noch als aussichtsreich galt….“ Gegossen wurde der Adler in der Kunstgießerei Noack in Berlin.

Fliegerdenkmal 2016
Das Fliegerdenkmal 2016

Die naturbelassenen Basaltsäulen als Fundament des Fliegerdenkmals fügen sich gut in die rauhe Rhönlandschaft ein. Aus Hamburg brachte Ottfried Fuchs den Bronzeadler, wo dieser den Garten der Ballin´schen Villa in der Feldbrunnenstraße Nr. 58 dekorierte, die heute das UNESCO-Institut für Pädagogik beherbergt. Er ist eine Schöpfung des bekannten Bildhauers und Tierplastikers Prof. August Gaul aus Großauheim (geb. 22.10.1869 Großauheim bei Hanau – gest. 18.10.1921 Berlin).

Albert Ballin, ein Vertrauter und Duzfreund des Deutschen Kaisers Wilhelm 2., machte als Generaldirektor die HAPAG (Hamburg-Amerika-Paketfahrt-AG) zu einer der größten Reedereien der Welt, die mit 194 Ozeandampfern und mit 1,36 Millionen Bruttoregistertonnen regelmäßig 400 Häfen in der ganzen Welt angelaufen hatte. Ballin hoffte auf die friedliche Gleichstellung Deutschlands mit Großbritannien auf den Meeren; er suchte den Gefahren der Tirpitzschen Flottenpolitik zu begegnen. Die Deutsche Handelsflotte wurde als Folge des Krieges an andere Nationen ausgeliefert. Ballin musste noch in Verzweiflung mitansehen, wie sein Lebenswerk vernichtet wurde. An dem Tag, als Wilhelm 2. nach Doorn ins Exil ging, am 11. November 1918, starb er in einer Hamburger Klinik. Die Witwe glaubte in seinem Namen und getreu seiner vaterländischen Gesinnung zu handeln, als sie 1923 mit einer erheblichen Summe zur Errichtung des Denkmals auf der Wasserkuppe beitrug und zusätzlich auch noch die Bronzeskulptur des Adlers aus dem Garten ihres Anwesens in Hamburg zur Verfügung stellte.

Zwei Bronzetafeln hat das Denkmal: Die große ovale auf der Vorderseite in der Form des deutschen Feldfliegerabzeichens trägt den Spruch: „Wir toten Flieger blieben Sieger durch uns allein. Volk, flieg du wieder und du wirst Sieger durch dich allein.“ Der Verfasser dieser Zeilen war Oberleutnant Ottfried Fuchs. Die Worte müssen aus dem Geiste jener Zeit verstanden werden: 1923 leidet Deutschland noch immer unter den Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs. Um die in Verzug geratenen Reparationsforderungen zu erzwingen, besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet und das Rheinland. Zum Jahresanfang beläuft sich der Umrechnungskurs zum Dollar auf 7260 Mark, bereits im Juli müssen für einen Dollar 600.000 Mark entrichtet werden. Ein Liter Milch kostet 4000 Mark, ein Ei 800, Kartoffeln 2500 Mark/Pfund, für Bohnenkaffee müssen 36.000 Mark bezahlt werden. Um den Bedarf zu decken, werden täglich 2.000.000 neue Banknoten gedruckt. Wegen der hohen Straßenbahntarife haben Fahrräder wieder Hochkonjunktur. In dieser Zeit wirtschaftlicher Depression und politischer Instabilität sehen die Teilnehmer der Denkmalseinweihung auf der Wasserkuppe ihre Anwesenheit als stillschweigenden Protest gegen die im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 ausgesprochenen Flugbeschränkungen gegen Deutschland. Heute möge man die Worte im übertragenen Sinne erfassen: ..und du wirst Sieger über dich und alles kleinkarierte Gezank, das die Völkerfreundschaft beeinträchtigen könnte, im erweiterten Sinn des Satzes, den Adolphe Gehringer als Präsident der Internationalen Segelflugkommission bei der Schlussfeier der Weltmeisterschaft von St. Yan geprägt hatte: „Ich sehe hier nur eine Nation, die Nation der Segelflieger“.

Eine zweite Tafel, kleiner und rechteckig auf der Rückseite des Denkmals bescheinigt: „Errichtet vom Ring Deutscher Flieger e.V. 1923.“

Für den Architekt Johannes Moßner galt die Arbeit am Denkmal als freiwillige Ehrenpflicht gegenüber seinen gefallenen Fliegerkameraden. Ottfried Fuchs quittierte 1925 seinen Dienst in der Reichswehr, arbeitete in den Junkerswerken in Dessau. Er war dort maßgeblich an der Entwicklung des Kreiselvisiers für die JU 87 beteiligt.

Der große Tag

Der heftige Weststurm der letzten Tage war noch stärker geworden. Seit dem frühen Morgen strömten die Besuchermassen zur Wasserkuppe. Die vier Vormittagszüge der Reichsbahn von Fulda waren übervoll mit Fremden, ebenso auch die zwei Sonderzüge, für die es allerdings schlechte Noten von der Fuldaer Zeitung gab: „Leider hatte der Sonderzug, der um 10 Uhr in Gersfeld eintreffen sollte, unbegreiflicherweise eine Verspätung von 1,5 Stunden, sodass die Fahrgäste dieses Zuges auf der Wasserkuppe anlangten, als die Feier zu Ende war. Hier hätte die Eisenbahnverwaltung doch etwas mehr dem besonderen Anlass und dem gesteigerten Verkehr Rechnung tragen sollen.“ Trotz dieser Panne schätzt der Berichterstatter dieser Zeitung, dass 100.000 Menschen der Feierstunde auf der Wasserkuppe beiwohnten. Zu den meistbeachteten Gästen zählte der Bruder des ehemaligen Deutschen Kaisers Wilhelm 2., der flugbegeisterte Prinz Heinrich von Preußen. In voller Wichs stolzierte der Chef des ehemaligen Generalstabes, General Ludendorff, mit Pickelhelm, Säbel und großem Gefolge an. Felix Graf Luckner, der „Seeteufel“, der 1917 mit seinem Dreimast-Segelschiff 30.000 BRT gegnerischen Schiffsraums aufgebracht hatte, war da, um den gefallenen Fliegern seine Referenz zu erweisen. Unter den zahlreichen weiteren Ehrengästen waren: Frankfurts Oberbürgermeister Dr. Vogt, Herzog von Braunschweig Ernst-August mit Gemahlin, Ministerialrat von Bredow und viele Generäle. Überhaupt fielen recht augenscheinlich die zahlreichen Uniformen aller Waffengattungen mit ihren Orden und Ehrenzeichen auf.

Einweihung - Besucher

Man zählte insgesamt 34 Pour-le-merite-Flieger. Anwesend war Hauptmann Wilberg, der Organisator der neuen Fliegertruppe in der Reichswehr. Auch die Witwe von General Hoeppner und die Freifrau von Richthofen, die Mutter des „Roten Barons“ und sein Bruder Lothar, waren zur Feier gekommen. Der Preußische Kultusminister Dr. Boelitz war da und der Regierungspräsident Springorum von Kassel mit seinen sämtlichen Landräten (sie stifteten 12 Millionen Mark (Inflation!) für einen Zielflug). Zahlreiche Grußbotschaften wurden verlesen, darunter von Oberst Thomsen, dem ehemaligen Chef des Generalstabs der Fliegertruppe und sogar Großadmiral Tirpitz. Fast endlos war die Reihe der Kriegerfahnen und Ordensbanner, die unter Böllerschüssen vor dem Denkmal geneigt wurden. Natürlich waren auch die Lehrer der umliegenden Rhönorte mit ihren Schulklassen angewandert, galt es doch, Zeitzeuge eines Jahrhundertereignisses zu werden.

Die Feierlichkeit

Der Sturm wurde nicht geringer, eher noch stärker, man registrierte 15 bis 20, in Böen sogar bis 36 m/sek. Windgeschwindigkeit. Die Feierlichkeit wurde deshalb etwas abseits vom Denkmal in den Windschatten des Lerchenhügels verlegt. Trotzdem konnten meist nur die Nächststehenden die Rednerworte aufnehmen. Mikrofone und Lautsprecher hatte man ja noch nicht. Zur Eröffnung spielte der Musikzug des Infanterieregiments 21 aus Würzburg „Siegfrieds Totenklage“, anschließend trug ein Quartett von Herren der Frankfurter Oper das „Gebet“ von Goltermann („Herr, den ich tief im Herzen trage“) und das Volkslied vom Guten Kameraden vor. Ein weiterer Schauspieler rezitierte dann einen besinnlichen Prolog, der die Erinnerung an die Gefallenen des Krieges wachrüttelte. Nun erst trat der Vorsitzende des Ringes der Flieger, seine Exzellenz Generalleutnant Walter von Eberhardt ans Rednerpult und hielt seine Weiherede. Unter anderem führte er aus: „Wie der Basalt des Denkmals in deutschem Boden wurzelt, so soll unsere Kraft in deutschem Boden wurzeln. Und eigene deutsche Kraft wird es sein, die alle Fesseln, die Schmach und Schande, die Not und Elend uns angelegt haben, wieder sprengen wird. Nach Westen blickt der Adler. Er weist uns den Weg, den wir gehen müssen. Die Inschrift des Denkmals sei unser Wahlspruch“. Welch martialisches Säbelrasseln! Dann übergab er das Denkmal in die Obhut aller künftigen Flieger und des deutschen Volkes. Für den erkrankten Schirmherren, den Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, ergriff jetzt sein Vertreter das Wort, dem eine Unzahl von Verbands-, Vereins- und Clubvorsitzenden mit Kranzniederlegungen folgten. Die Schleife des Kranzes vom Bund der Jagdflieger trug den sinnigen Vers: „Adler, Du halte Wacht! Um uns ist Schande und Nacht. Siehe dort hinter dem Rhein schlummert der Brüder Gebein bis einst der Morgen erwacht. Adler Du, halte die Wacht!“ Jetzt kämpfte die Militärkapelle noch einmal gegen den Sturm an, dann bildete das gemeinsame Singen des Niederländischen Dankgebets („Wir treten zum Beten vor Gott den Herrn, ihn droben zu loben mit Herz und Mund; und machet groß seines lieben Namens Ehren, der jetzo unsern Feind warf auf den Grund“) und des Deutschlandliedes den feierlichen Abschluss.

Fotograf: unbekannt
Einweihung des Fliegerdenkmals auf der Wasserkuppe am 30.8.1923

Die Prominenz begab sich nun zur Besichtigung des Segelfliegerlagers, das mit seinen zwei parallelen Straßen einem Dorf ähnelte. Das besondere Interesse galt hier dem Neubau des über 70 m langen Ring-der-Flieger-Hauses (kurz „Ringhaus“) mit seinen 42 Zweibettzimmern.

Der Einweihungstag als Flugtag

Da die Einweihungsfeierlichkeit während des Rhönsegelflugwettbewerbs stattfand, ließen es sich die Wettbewerbsteilnehmer natürlich nicht nehmen, auch ihren Beitrag zu leisten. Die Motorflieger, die eigentlich gekommen waren, um während der Denkmalsreden ihre obligaten „Ehrenrunden“ zu absolvieren, blieben aufgrund des Sturmes am Boden. Fritz Stamer flog an diesem Tag mit seinem schweren Segler „Bremen“ einen 35 Minuten-Flug vorbei an der Eube und den Dreierhöfen bis in die Schwalmbach. Andere Konstruktionen widerstanden dem orkanartigen Sturm nicht ganz so gut: Der Messerschmitt-Eindecker mit Hans Hackmack vertrug die Turbulenz nicht und stürzte beim Roten Moor ab, der Pilot war leicht verletzt. „Der alte Dessauer“, der mit Unterstützung der Junkerswerke gebaut worden war, montierte infolge Flügelschwingungen durch überhöhte Geschwindigkeit schon kurz nach dem Start ab, der Pilot Thomsen war nur leicht verletzt. Der Breslauer Richard Tracinski auf dem „Galgenvogel“ verlor über Abtsroda die Kontrolle über den Eindecker und stürzte ab.

Er erlitt Kopfverletzungen und eine Gehirnerschütterung. Der Erfurter Eindecker bekam wegen zu hoher Fahrt Querruderflattern mit anschließendem Flügelbruch, der Weltkriegspilot Max Standfuß schlug vor dem Westhang auf. Er starb noch am selben Abend im Berta-Krankenhaus in Tann. Er war das dritte Todesopfer des Segelflugs. Als gegen Abend der Wind abflaute, flog Botsch den Konsul (benannt nach dem Mäzen Konsul Dr. Krotzenberg) der Darmstädter FSG sicher ins Tal.

Ausklang

Mit Genugtuung und Stolz verzeichnet der Herausgeber des Gersfelder Kreisblattes: „Abends fand bei einem gemeinsamen Abendessen von 400 Gedecken im Hotel Adler ein erhebender, vaterländischer Abend statt. Mit goldenen Worten der Ehrung fürs Vaterland und seiner Fliegerhelden und des Dankes für alle Mithelfer auf der Wasserkuppe wurde das Mahl gewürzt. Jubelnd begrüßt wurden die obengenannten Ehrengäste. Reicher Beifall wurde den Rednern, Vortragenden und der Musik gespendet. Der Fliegertag in der Rhön wird allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben.“

Auch wenn die Besucherzahl, wie sie nachher in den Tageszeitungen angegeben worden ist, gewiß etwas relativiert werden sollte, sicher ist, daß niemals zuvor oder danach, weder bei den früheren traditionellen Rhönturnfesten Friedrich-Ludwig-Jahn´scher Prägung noch in der Blütezeit der Rhönsegelflugwettbewerbe in den dreißiger Jahren jemals soviele Menschen gleichzeitig auf diesem Gipfel gewesen sind. Mit vielleicht einer Einschränkung:

Am denkwürdigen 26. August 1951, an dem Tag, der als „Fest der Freude“ in die Geschichte des Segelflugs eingegangen ist. Damals, als nach sechsjähriger Verbotszeit die Wiederzulassung des motorlosen Flugsports gefeiert wurde, erlebte man hier eine Offenbarung echter Segelflugbegeisterung. In einer schlichten Feierstunde wurde der toten Fliegerkameraden aller Nationen gedacht. Die Presseagenturen nannten damals die Zahl von Fünfzigtausend Besuchern auf der Wasserkuppe.

Der Rhönvater Oskar Ursinus widmete diesem Großereignis in seiner Zeitschrift „Flugsport“, in der Nummer 14-16, auf Seite 145 lediglich knappe 16 Zeilen. Der Großauftrieb an Uniformen, das verbale Säbelgerassel und die volltönenden heroischen Reden und das zur Schau gestellte „vaterländische Getue“ mag ihn, den leidenschaftlichen Ur-Zivilisten, wohl arges Bauchgrimmen verursacht haben. Für den guten „Rhöngeist“ galt die Wasserkuppe als eine Landschaft der Stille, der Einkehr und der schöpferischen Besinnung. Wie mag er innerlich aufgeatmet haben, als zwei Tage später der ganze Rummel vorbei war und wieder Ruhe in der Rhön herrschte.

Zitiert mit freundlicher Genehmigung des Autors aus:
Joachim Jenrich: Die Wasserkuppe – Ein Berg mit Geschichte
erhältlich bei buecher.de und anderen Buchhändlern


Anmerkung

Skulptur wie Inschrift des Denkmals spiegeln den revisionistischen Zeitgeist der 1920er Jahre. Die Inschrift glorifiziert den Kriegstod der Flieger und fordert das Deutsche Volk zur Nichtakzeptanz der Niederlage des Ersten Weltkriegs auf.

Der „martialische Festakt“, die „heroischen Reden“ und das „vaterländische Getue“ fand nicht nur Zustimmung. Rhönvater Oskar Ursinus widmete dem Spektakel in seiner Zeitschrift Flugsport lediglich knappe 16 Zeilen (164 Worte):

„Die Einweihung eines Fliegerdenkmals fand am 30. August auf der Wasserkuppe statt. Hunderttausende von Menschen hatten sich dazu eingefunden. Unter den Gästen waren u. a. Prinz Heinrich von Preußen, General Ludendorff, Graf Luckner. — Das Ehren- und Erinnerungszeichen ragt am Nordhang der Wasserkuppe empor: auf zusammengetürmten Basaltfelsen erhebt sich der Sockel, den der Adler umkrallt, eine prächtige Schöpfung des bekannten Tierbildhauers Gaul. Wenig Denkmäler dürfte es geben, die einen solch wuchtigen, würdigen, großen Eindruck hinterlassen, wie dieses Fliegerdenkmal, und keines, das in so großer, erhabener Umgebung, an so ausgezeichneter Stätte steht. Links liegt dem Blick die Bergwelt der Rhön offen und weit geht der Blick des Adlers über die Lande, gen Fulda, und überschaut die deutschen Gaue, umbraust von den Stürmen der Rhön. Und all das, was das Denkmal sagen will, ist zusammengefaßt in den Worten des unbekannten Dichters, die die westliche Tafel trägt: „Wir deutschen Flieger, wir blieben Sieger, durch uns allein!“ Die andere Tafel trägt die Widmung: „Errichtet vom Ring der Flieger 1923“.“

– Flugsport Redaktion: Flugsport No. 14 bis 16, 12. September 1923, XV. Jahrg., S. 145

Auch Kurt Tucholsky kritisierte das Denkmal und den Kult um die Segelflieger in den 1920er Jahren in der Weltbühne. Er schrieb 1931:

„Diese Jungen da freuen sich an einem Sport, das geschieht in jedem Lande, und es sei ihnen gern gegönnt. Wozu muß in diese, wie man denken sollte, harmlose Betätigung das Gift des Nationalismus hineingetragen werden? Weil in Deutschland keine Verdauungsstörung vor sich geht, ohne daß nicht einer dazu brüllt: »Im Felde unbesiegt! Trotz allem! Hurra!« Sie bekommen es sogar fertig, ein Fliegerdenkmal zu errichten, auf dem diese Unwahrheit prangt: Wir toten Flieger Blieben Sieger Durch uns allein. Volk Fliege wieder Und du wirst Sieger Durch dich allein.

Schön, aber falsch. Die toten Flieger sind jene, die abgeschossen, also unterlegen sind – was ihnen gewiß nicht zur Schande gereicht. Aber aus einem Abschuß, den man im umgekehrten Fall als Glorie feiert, einen Sieg zu konstruieren, das geht doch wohl nicht an. Rossitten. Segelflug an der Rhön. Herr Dominicus, Staatsminister a. D. Verein für das Deutschtum im Ausland. Es ist überall dasselbe. Es ist übelste Wichtigmacherei, Nationalismus, geistige Aufrüstung an allen Ecken und Enden und Reklame für den nächsten Krieg.“

– Ignaz Wrobel [d.i. Kurt Tucholsky]: Die Weltbühne, 25. August 1931, Nr. 34, S. 312

(Quelle: Wikipedia)